Indien
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Unter­wegs im Dha­ra­vi Slum in Mumbai

Dharavi Slum in Mumbai, Indien Copyright Peter Pohle PetersTravel

Slum Tou­ris­mus ist umstritten.
Ich will aber mög­lichst vie­le Facet­ten eines Lan­des kennenlernen.
Vor eini­ger Zeit habe ich an einer Füh­rung durch die Fave­la Vidi­gal in Rio teil­ge­nom­men. Durch die freund­li­che Begeg­nung mit den Men­schen hat­te es weder etwas Beklem­men­des noch etwas Voyeuristisches.
Also beschlie­ße ich in Mum­bai an einer Dha­ra­vi Slum Tour teilzunehmen.

Gasse im Dharavi Slum in Mumbai, Indien Copyright Peter Pohle PetersTravel

Info & Fakten

Laut offi­zi­el­len Anga­ben gibt es mehr als 200 Slums in Mum­bai. Dha­ra­vi ist einer davon. Nicht irgend­ei­ner, son­dern der größ­te und damit einer der größ­ten Slums der Welt über­haupt. Beim Wort Slum muss ich aber gleich ein­ha­ken. Jeder hat — glau­be ich — sofort ein bestimm­tes Bild im Kopf. Zumin­dest mei­nes wird in Dha­ra­vi über den Hau­fen geworfen.

Im Dha­ra­vi Slum leben heu­te über 1 Mil­li­on Men­schen. Hier ist alles dicht auf dicht. Es gibt Werk­stät­ten und klei­ne Betrie­be,  Hüt­ten und Häu­ser, über 100 Tem­pel, Moscheen und Kir­chen. Es gibt Kin­der­gär­ten, Schu­len, Gemein­schafts­zen­tren, Restau­rants und ein Krankenhaus.

Die meis­ten Fami­li­en tei­len sich einen Raum von durch­schnitt­lich 12,5 Qua­drat­me­ter. Hier leben, schla­fen, essen im Schnitt 6 Personen.
Zum Mit­tag­essen bin ich bei der Mut­ter mei­nes Gui­de. Ich sit­ze auf dem ein­zi­gen Stuhl. Der win­zi­ge Wohn­raum hat viel­leicht gera­de mal 10 qm. Unglaub­lich, dass hier eine gan­ze Fami­lie lebt und schläft.

Ich gehe durch enge, win­ke­li­ge Gas­sen. Obwohl es seit Tagen nicht gereg­net hat, ist es an man­chen Stel­len rut­schig. Die schma­le Rin­ne für das Abwas­ser ist nur lose abge­deckt und läuft über. Ich will gar nicht dar­an den­ken, wie es hier zu Regen­zei­ten aussieht.
Man­che Gän­ge sind so schmal, das gera­de mal eine Per­son durch­passt. Hier ist ein Klein­be­trieb neben dem anderen.

Schneiderwerkstatt  im Dharavi Slum in Mumbai, Copyright PetersTravel
Dharavi Slum in Mumbai, Schneiderei Copyright PetersTravel
Töp­fe­rei­en, Bäcke­rei­en, Schuh­ma­cher, Leder­ver­ar­bei­tung, Kof­fer­her­stel­ler und Schnei­de­rei­en. Man­che sind den Bli­cken ver­bor­gen, ande­re sind nach außen offen. Wie­vie­le es sind ist schwer zu sagen. Schät­zun­gen gehen von Zah­len zwi­schen 10.000 und 15.000 Werk­stät­ten aus.
Eines aber ist sicher: hier wird unter här­tes­ten und gesund­heits­schäd­li­chen Bedin­gun­gen gear­bei­tet. Natür­lich ohne Arbeitsschutz.
Wie­der­ver­wert­ba­rer Schrott aus der gan­zen Welt wird gesam­melt, sor­tiert, geschred­dert, geschmol­zen und wei­ter­ver­kauft. Über­all in den engen Pas­sa­gen ste­hen Ber­ge von Papp­kar­tons, Metall­schrott, Kot­flü­gel, Farb­ei­mer mit gif­ti­gen Sub­stan­zen, Kis­ten und Säcke mit Undefinierbarem.
Aber es wird nicht nur alles Erdenk­ba­re recy­celt. In den Werk­stät­ten ent­steht auch Neu­es: Klei­dung, Kof­fer, Leder­wa­ren wie Taschen, Schu­he oder auch Lebensmittel.
Eini­ges davon lan­det auch im Westen.
So wer­den jähr­lich Waren im Wert von über 650 Mil­lio­nen Dol­lar hergestellt.

Schutzbleche in Dharavii Copyright Peter Pohle

Ent­ste­hung von Dharavi

Ursprüng­lich lag Dha­ra­vi am Ran­de von Mum­bai und war ein Fischer­dorf. Mum­bai hieß zu die­ser Zeit Bom­bay. Die Stadt bestand aus meh­re­ren Inseln, die man im Lau­fe der Jah­re tro­cken­leg­te. Das so gewon­ne­ne Land ent­zog den Fischern ihre Exis­tenz­grund­la­ge. Es war kos­ten­los und lock­te wegen der Nähe zur Stadt Men­schen aus dem gan­zen Land an. Die ers­ten, waren die Töp­fer­fa­mi­li­en aus Guja­rat mit ihren Kera­mik­werk­stät­ten. Es folg­ten die Ger­ber aus Maha­rash­tra und die Schnei­der aus Uttar Pra­desh. In der Fol­ge kamen die Arbeits­su­chen­den aus allen Landesteilen.
Die Töp­fer­werk­stät­ten, Leder­ma­nu­fak­tu­ren und Schnei­de­rei­en gibt es noch heute.

Schneider im Dharavi Slum in Mumbai, Copyright Peter Pohle PetersTravel
Friseur in Mumbai

Dha­ra­vi — Die Gegenwart

Dha­ra­vi ist nach Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten auf­ge­teilt: 60 Pro­zent der Bewoh­ner sind Hin­dus, 33 Pro­zent Mus­li­me und 6 Pro­zent Christen.
Im Ver­gleich zu ande­ren Slums von Mum­bai geht es den hier Leben­den rela­tiv gut. Die Mie­ten schei­nen bezahl­bar. Es gibt Strom, wenn die­ser auch oft irgend­wo abge­zapft wird. Ein Pro­blem sind die Was­ser­ver­sor­gung und die Toi­let­ten. Sie feh­len in den pri­va­ten Haus­hal­ten. Wäh­rend sich 1.400 Bewoh­ner eine Gemein­schafts­toi­let­te „tei­len“ müs­sen, haben aber inzwi­schen vie­le Häu­ser eine Was­ser­lei­tung im Haus oder zumin­dest in der Nähe.

Dharavi Slum in Mumbai, Farbfässer, Copyright Peter Pohle PetersTravel

Slum for Sale

Frü­her lag der Dha­ra­vi Slum am Rand von Mum­bai. Mit dem Wach­sen der Stadt hat sich das geän­dert. Jetzt liegt er mit­ten­drin. Das weckt Begehrlichkeiten.
Seit 2007 gibt es immer wie­der Plä­ne, das wert­vol­le Gebiet zu ver­kau­fen und die Hüt­ten abzu­rei­ßen. Der Käu­fer muss im Gegen­zug Hoch­häu­ser bau­en und jeder Fami­lie des Vier­tels kos­ten­los eine Woh­nung mit 20 Qua­drat­me­ter zur Ver­fü­gung stel­len. Außer­dem muss er für die Was­ser- und Abwas­ser­ver­sor­gung garan­tie­ren. Dar­über hin­aus kann der Käu­fer dann Häu­ser bau­en und teu­er verkaufen.
Ein paar Fami­li­en sind in bereits gebau­te Häu­ser umge­zo­gen. Vie­le wol­len aber gar nicht in einen anony­men Wohn­block zie­hen. Sie haben Angst ihr sozia­les Umfeld zu ver­lie­ren. Dazu kommt, dass die geplan­ten Woh­nun­gen längst nicht für alle rei­chen wür­den! Letzt­lich ist die­ses Vor­ha­ben vor­erst gescheitert.

Sortieren von Plastikmüll in Dharavi

Dha­ra­vi Slum Tour

Kei­ne Fra­ge: Slum Tou­ris­mus — und damit eine Dha­ra­vi Slum Tour — ist umstritten!
Seit ein paar Jah­ren gibt es meh­re­re geführ­te Tou­ren durch das Dha­ra­vi Vier­tel. Ein renom­mier­ter Anbie­ter scheint Rea­li­ty Tours und die NGO Rea­li­ty Gives zu sein.  Alle Füh­rer stam­men aus dem Dha­ra­vi Slum. 80 Pro­zent der Gewin­ne von Rea­li­ty Tours flie­ßen zurück in den Slum. Ange­bo­ten wer­den Gesund­heits­pro­gram­me, Eng­lisch- und Com­pu­ter­kur­se, Bil­dungs­pro­gram­me sowie Sportmöglichkeiten.

Anfahrt zum Dha­ra­vi Slum

Zug­fahrt mit Wes­tern Line in ca 30 Minu­ten von „Church­ga­te“ zur Sta­ti­on „Mahim“.

Ziegen im Dharavi Slum Copyright Peter Pohle PetersTravel

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4 Kommentare

  1. Nina sagt

    Tol­ler Arti­kel, Peter. Sehr inter­es­sant und toll, dass letzt­lich der Slum auch von der Tour pro­fi­tiert. Vie­le Grü­ße, Nina

  2. Lie­ber Peter,
    bis­her war ich als Indi­en­fan noch nicht in Mum­bai. Wenn das Rei­sen irgend wann wie­der mög­lich ist, möch­te ich ger­ne noch ein­mal nach Indien.

    Ich fin­de es immer sehr lehr­reich, wenn man das Leben der Ein­hei­mi­schen vor Ort ken­nen­ler­nen darf und nicht nur die Sehens­wür­dig­kei­ten. Daher wür­de ich auch an einer Slum­tour teil­neh­men, beson­ders, wenn die Ein­nah­men den Bewoh­nern auch helfen.

    Beim Lesen dei­nes Berich­tes habe ich Bil­der aus dem Film “Slum­dog Mil­lio­när” vor Augen, der in Mum­bai spielt.

    Lie­be Grüße
    Renate

  3. Hal­lo Renate,
    ja, es ist eine lehr­rei­che und loh­nens­wer­te Tour auf der man inner­halb kur­zer Zeit ein brei­tes Spek­trum von Indi­en kennenlernt.
    Ich mag mir aller­dings gar nicht vor­stel­len, wie es dort jetzt in Zei­ten von Coro­na zugeht.
    BG, Peter

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